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Siegerentwurf 01


Siegerentwurf 02

Siegerentwurf 03

Siegerentwurf 04

 

Konzept zur künstlerischen Gestaltung des Caligariplatzes im Rahmen der Ausschreibung „Kunst für Dr. Caligari’“. Vorgestellt von der Künstlergruppe plusminusacht, Berlin, 30.Oktober 2007.

NACHTWANDERUNG

Beschreibung

‚Nachtwanderung’ ist ein Konzept zur künstlerischen Gestaltung des Caligariplatzes. In unserem Konzept bringen wir alle Elemente des Platzes – den Platz selbst, die Fassade der Brotfabrik und den Giebel über der Brotfabrik – in Beziehung zueinander. Vom Tag bis zur Nacht entspinnt sich hier eine Geschichte, deren Fragmente von Besuchern des Platzes entschlüsselt werden können.

Der Platz vor dem Gebäude der Brotfabrik wird so zu einem lebendigen Stadtplatz, der die Blicke der Passanten von den umgebenden Straßen her auf sich zieht und zum näher kommen und verweilen anregt.

Tagsüber

Das gleichmäßige, grau-weiße Kachelmuster des Platzes wird durchbrochen von einer in kräftigen Farben leuchtenden Linie, die sich in einer kühnen Zickzack-Bewegung über den gesamten Platz legt, die Wand der Brotfabrik überwindet und am Giebel über der Brotfabrik wieder auftaucht.

Schon von weitem zieht dieser hypnotische Anblick die Betrachtenden in seinen Bann und lädt ein, näher zu kommen. Der Blick folgt der Linie unwillkürlich bis hinauf auf den Giebel. Hier steht die Silhouette der beeindruckenden und bedrohlichen Gestalt des Dr. Caligari.

Die Linie erzählt eine Geschichte: Sie ist ein steiler Pfad zu einem fernen Ziel. Dieses Ziel kann aber nur mit Mühe und der Bereitschaft, Ängste zu überwinden, erreicht werden. Es ist ein Gefühl ähnlich dem eines Bergwanderers, der einen sich zum Gipfel windenden Weg betrachtet, den er gleich beschreiten wird.

Zu Beginn dieses Weges, auf dem Caligariplatz, sind entlang der Linie Bänke platziert. Hier können sich die Besucher ausruhen und ihren Blick und ihre Gedanken der Linie und ihrem Aufstieg zum Giebel folgen lassen.

Von weitem betrachtet sind auch die Bänke ein Blickfang. Ihre außergewöhnliche Form und leuchtenden Farben wecken Neugier und lenken zusätzliche Aufmerksamkeit auf die Linie, die zwischen den Bänken verläuft.

Der Caligariplatz erhält durch die dynamische Linie von einem Ende des Platzes bis hinauf zum Giebel einen Zusammenhalt und eine innere Spannung.

Am Abend

Wenn sich die Dämmerung auf den Caligariplatz senkt, werden die Farben blasser und Konturen undeutlicher. Doch ist dies auch der Zeitpunkt, an dem in der Brotfabrik viele Veranstaltungen stattfinden und Menschen sich auf dem Platz aufhalten.

Die Fassade des Giebels über der Brotfabrik offenbart mit Einbruch der Dunkelheit ihr Geheimnis: Ein eigentümlicher Schatten gesellt sich nun zu der Gestalt des Dr. Caligari. Es ist die Figur des Nachtwandelnden, des Somnambulen, dessen Schatten fieberhaft zitternd über die Fassade geistert.

Der Anblick des wandernden Schattens ist verunsichernd, übt aber zugleich eine magische Anziehungskraft aus. Wieder ist die Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten gefragt. Der bewegte Schatten ist eine Begegnung mit dem Irrationalen, welche zugleich eine rationale Erklärung sucht. Was verbirgt sich hinter dem bedrohlichen Schatten? Wo liegt der Ursprung?

Hintergrund

Der Film als Inspirationsquelle

Der Film ‚Das Cabinett des Doktor Caligari’ – der Namenspate des Caligariplatzes – diente als direkte Inspirationsquelle für die Farben- und Formensprache der Platzgestaltung, aber auch für die inhaltliche Auseinandersetzung.

Der Film wirft viele Fragen auf, vor allem wenn man ihn vor seinem zeitgeschichtlichen Hintergrund betrachtet. Wir möchten jedoch einen Aspekt herausgreifen, der im Film auf besonders verstörende Weise dargestellt wird und der bis heute nichts an seiner Aktualität verloren hat: das fragile Gleichgewicht zwischen Rationalität und Wahnsinn.

Die zentralen Figuren des Films können als Wanderer zwischen den Welten des Erklärbaren und des Irrationalen gesehen werden. Der Film führt uns in eine verstörende, albtraumhafte Welt, in der wir mit Magie, Besessenheit, Mordlust und Machtgier konfrontiert werden und in der nichts ist, wie es scheint. Er kann uns zur Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten anregen und anschließend zu einem Läuterungsprozess führen.

Farben und Formensprache des Films

Winkel und Zacken

Zur verunsichernden Atmosphäre des Films trägt die Kulissengestaltung ganz wesentlich bei. Spitze Winkel, schiefe Flächen, zusammenstürzende Räume: gezeigt wird eine ‚Welt aus den Fugen’, eine Welt, in der es keinen Halt gibt und in der nichts mehr aufeinander aufbaut. Diese Formen nehmen wir in unseren Entwurf mit auf und verarbeiten sie in allen Elementen der Platzgestaltung.

Farbe, Licht und Schatten

Die Kulisse des Films wurde von Malern gestaltet, die vom Geist des Expressionismus beeinflusst waren. Es ist leicht, sich vorzustellen, dass die Kulissen tatsächlich in kräftigen, leuchtenden Farben gehalten waren, die allerdings durch die damalige S/W-Filmtechnik zu einem Spiel aus Licht und Schatten umgedeutet wurden. Selbstverständlich spielen Licht und Schatten eine wichtige Rolle in dem Film, jedoch bezeugen die damaligen Filmplakate, dass der Effekt von Farben durchaus erwünscht war. In unserem Entwurf arbeiten wir sowohl mit dem Kontrast zwischen Farbe und dem Fehlen von Farbe, sowie Licht und Schatten.

Unsere Umsetzung: NACHTWANDERUNG

Wir möchten den Prozess, den der Film anregt, mit einer Nachtwanderung vergleichen.

Auch wer sich auf eine Nachtwanderung begibt, nimmt die Herausforderung an, sich mit seinen Ängsten auseinander zu setzen. Er ist bereit, dem Irrationalen zu begegnen, sich darauf einzulassen und / oder es zu hinterfragen. Eine Wanderung in die Nacht ist zugleich eine Begegnung mit den eigenen Träumen und dem Unbewussten. Mit dem Bild des Somnambulen, also dem Schlafwandler, schließt sich der Kreis zum Film.

Diesen Prozess möchten wir mit der Anordnung der Elemente der Platzgestaltung erfahrbar machen.

Die Linie lädt ein zur Wanderung, warnt aber zugleich vor Mühen und (in der Gestalt des Dr. Caligari) vor Bedrohlichkeiten im Wegverlauf. Mit Einbruch der Dämmerung kommt das geisterhafte Schattenspiel am Giebel über der Brotfabrik hinzu. Es entsteht ein Zwiespalt zwischen der verführenden Anziehungskraft der Illusion und dem menschlichen Bedürfnis, rationale Erklärungen zu finden.

Unser Konzept soll unter dem Namen NACHTWANDERUNG eine spielerische Auseinandersetzung mit dem Konflikt zwischen Erklärbarem und Irrationalem anregen.

Die Elemente der Platzgestaltung

Die Zickzack-Linie

Die Zickzack-Linie, die sich in unserem Entwurf über den Caligariplatz spannt und sich bis zum Giebel hinauf ragt, findet ihre direkte Entsprechung im Film. Hier ist sie der Weg, den Cesare auf seiner Flucht aus der Stadt einschlägt.

Die Linie ist bewusst als ein spektakulärer Eingriff in das Stadtbild gedacht. Ihre leuchtenden Farben machen sie von weither sichtbar. Dem Besucher zeigt sie sich als Weg, der eine Verbindung zwischen Platz und Fassade der Brotfabrik schafft.

Erst aus der Vogelperspektive lässt sich der gesamte Verlauf der Linie erkennen. Die Vogelperspektive - gewissermaßen eine göttliche Perspektive auf die Welt - gewinnt seit Google Maps und Co. zunehmend an Bedeutung für unsere Raumwahrnehmung. Die Linie gibt dem Caligariplatz eine unverwechselbare Erscheinung im Stadtbild, ohne die Nutzbarkeit des Platzes in irgendeiner Weise einzuschränken.

Die Linie ruft zudem zahlreiche weitere Assoziationen hervor. Sie kann als Riss oder Bruch durch eine Einheit gesehen werden; sie steht für eine Persönlichkeitsspaltung und somit für den Wahnsinn; für eine Fieberkurve oder einen Metabolismus der aus der Balance geraten ist. Sie gleicht einem Aufbrechen der Erdkruste, oder Lavaströmen. Ein Riss zerstört, macht aber zugleich sichtbar, was hinter der Oberfläche verborgen war. Das Innerste wird so nach Außen gekehrt, es ist ein Prozess der Umwälzung aber auch der Erneuerung.

Die Bänke

Die Bänke fügen sich in Farbe und Verlauf der Zickzack-Linie ein. Durch die versetzte Anordnung der Lehnen sowie ihre unterschiedliche Neigung ergeben sich eine interessante Geometrie und ungewöhnliche Sitzkonstellationen.

Von weitem betrachtet sind auch die Bänke ein Blickfang. Ihre Form, starke Farbe und räumliche Anordnung wecken Neugier und lenken die Aufmerksamkeit zusätzlich auf die Linie, die zwischen den Bänken verläuft.

Die Bänke sind aus farbigem Beton. Die Sitzflächen sind mit Holzlatten versehen, die sich dynamisch in die Form der Bank einfügen.

Bei der Platzierung der Bänke haben wir bedacht, den Besuchern möglichst ideale Blickverhältnisse auf den Giebel oder aber über den Platz zu bieten. Dabei bleibt die Bewegungsfreiheit gegeben und genügend Raum für Aktivitäten auf dem Platz.

Die Gestaltung des Giebels

Bei der Gestaltung des Giebels greifen wir eindeutig auf die visuelle Sprache des Films zurück. Der Bezug zum Film, der schließlich Namenspate des Platzes ist, wird durch die Gestalt des Dr. Caligari und die abstrakten architektonischen Formen sofort klar.

Die kontrastreiche Gestaltung von schwarzen Silhouetten auf weißem Grund stellt einen Zusammenhang zu den geometrischen Kacheln des Platzes her.

Das Schattenspiel

Als letztes Fragment unserer Geschichte erscheint mit Einbruch der Dämmerung der riesige Schatten des Somnambulen neben Caligari auf dem Giebel.

Der Schatten wird von einer Installation auf dem Dach der Brotfabrik erzeugt, die vom Platz aus kaum sichtbar ist. Ein kleines, bewegliches Modell ist auf einer starken Federspirale montiert und wird von einem Strahler angeleuchtet. So wird ein riesenhafter Schatten an die Wand geworfen, der sich zudem durch Windeinwirkung leicht bewegen kann.

Das Schattenspiel, hier eine eindeutige Referenz an die Figur des Somnambulen aus dem Film, wirft zugleich weitere Assoziationsräume auf:

Erinnerungen aus der Kindheit an Schattenspiele mit den eigenen Händen werden wachgerufen. Es entsteht eine Referenz an die Geisterwelt des indonesischen Schattentheaters sowie an die Erkenntnisse aus Platons Höhlengleichnis.

Der Schatten steht für die dunklen, unausgesprochenen Aspekte, für Bedrohung und Angst. Er ist aber auch Anreiz zum Erlangen höherer Erkenntnis und der Überwindung von Ängsten.

 

Das Team

Künstlergruppe plusminusacht

Seit Januar 2007 arbeiten acht Künstlerinnen und Künstler aus den Bereichen Bildhauerei, Malerei, Mode, Schmuck und Film gemeinsam in den Räumen einer ehemaligen Kunstgießerei in der Schliemannstraße 30. Im Mai diesen Jahres führten sie erstmals eine erfolgreiche Gruppenausstellung durch. Ziel der Gruppe ist es, im inspirierenden Rahmen einer Ateliergemeinschaft sowohl die jeweiligen individuellen Projekten voranzutreiben, als auch in unterschiedlichen Konstellationen zu kooperieren. Für den Entwurf zur Gestaltung des Caligariplatzes taten sich Linda Blüml, Mia Frei, Saskia Patte und Elgin Willigerodt zusammen.

Linda Blüml

Linda Blüml wurde 1977 in München geboren und ist Autodidaktin in Bildhauerei und Malerei. Seit 2000 hat sie Ausstellungen z.B. in München, Hamburg, Leipzig, Homburg und Berlin. Sie arbeitet meist in Acryl, Holz und Marmor. Seit 2005 lebt sie freischaffend in Berlin.

Mia Frei

Mia Frei wurde 1979 in Indonesien geboren. Sie wuchs u. a. in Jakarta, Singapur, Essen und Düsseldorf auf, absolvierte in Köln eine Ausbildung als Mediengestalterin und studiert derzeit in Berlin Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation. Sie arbeitet als freie Grafikerin, Illustratorin und Übersetzerin. Ihre künstlerischen Arbeiten befassen sich mit Malerei, Collage und Objekten.

Saskia Patte

Saskia Patte, 1979 in Berlin geboren und aufgewachsen, besuchte 2001-2005 die Fachschule für Holzbildhauerei in Südtirol/Italien. Sie hat an verschiedenen Symposien und Ausstellungen in Deutschland und Italien teilgenommen. Seit 2006 ist sie in Berlin als freischaffende Bildhauerin tätig.

Elgin Willigerodt

Elgin Willigerodt, 1969 geboren, lebt als freischaffende Bildhauerin in Berlin. Hauptthema ihrer Arbeit sind zur Zeit modellierte Porträts und Reliefs als Auftragsarbeiten und Projekte in der Kinder- und Jugendkulturarbeit.

Von 1990-96 studierte sie in Straßburg (Frankreich) an der "Ecole des Arts Décoratifs". Von 2001-2004 studierte sie am Institut für Kunst-im-Kontext der UdK Berlin im Rahmen einer Künstlerweiterbildung. Sie nahm bereits an mehreren Wettbewerben für Kunst-am-Bau teil, so zum Beispiel bei der Gestaltung des Neubaus der Realschule Henstedt-Ulzburg (Schleswig-Holstein), wo ihr Entwurf den 1. Preis gewann und es zur Realisation der Plastik kam).

 

 

 

 

 

 

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